Eigene Lebensabschnitte


Meine literarische Entwicklung ist eng verknüpft mit meinem privaten und politischen Lebenslauf, sowie mit meinem beruflichen Werdegang in Wissenschaft und Industrie.

Mein unruhiges Leben mag gut zu unserer unruhigen Zeit passen, zugleich weniger gut zu mir. Zeitlebens träumte ich davon, in einem Literaturcafe zu sitzen, etwa bei Sachertorte, Cappucino, Cointreau und vor allem mit vielen Zeitungsartikeln und Büchern, die ich lese oder schreibe. Im Jahr 2005, 66 Jahre alt, habe ich damit begonnen.

"Wohlwollen" war das Zauberwort der Träume meines ersten Lebensabschnittes im Alter von 0 bis 15 Jahren. Im zweiten Lebensabschnitt (Alter 16 bis 24) versäumte ich, den Zauberstab der Liebe, des umfassendsten Wohlwollens, aufzugreifen. So wurde mein dritter Lebensabschnitt (25 bis 65) geprägt von (fast) erdrückenden Pflichten, ungewöhnlichen Herausforderungen und psychischer Dramatik. Indem ich meinen vierten Lebensabschnitt (66 bis ?) eröffnet habe, mag es für mein Umfeld und mich selbst weniger anstrengend werden, mit mir zu leben. Der allmähliche Übergang weg von Wissenschaft und Politik, über Industrie hin zu Literatur war im Jahr 2005 weitgehend vollzogen.


1. Lebensabschnitt im Alter von 0 bis 15 Jahren


Vor und nach meiner Geburt am 28. 12. 1938 in Halle/Saale stand meine Mutter unter lebensbedrohlichen Spannungen. Verfolgung und Gewalt durch die Nazis aus ganz unterschiedlichen Gründen hat in meiner Familie mehrere Opfer mit sich gebracht. Beim gewaltsamen Tod meiner Mutter 1944 war ich 5 Jahre alt. Die Eindrücke aus dieser Zeit und aus der Orientierungslosigkeit danach sind mir teils so lebendig, als wäre es gestern gewesen. Mein acht Jahre älterer Bruder war Rückhalt gegen Verzweiflung.

Wir Brüder lebten in München weitgehend wie Fremde in "unserer" Familie, der Alltag war von Verboten geprägt. Schulstunden wurden als Erleichterung empfunden. Alle Kinder meiner Schulklasse feierten ihre Geburtstage mit fröhlichen Festen, mein Geburtstag wurde komplett übergangen. Zweimal im Jahr musste mein Schulzeugnis unterschrieben werden, Dauer 5 Sekunden mit einer kritischen Bemerkung und das war's dann an Interesse. Zu Frustrationen in beklemmenden Details gehörte z.B. dass ich fürs Restevertilgen zuständig war und als ich nach gewaltsamer Fütterung kotzen musste, wurde nicht nachgelassen bis ich das Erbrochene auch noch gegessen hatte.

Es hieß dann später, meine Stiefmutter hätte Probleme mit mir gehabt. Immer wenn ich meinte, etwas hätte meiner eigenen Mutter auch nicht gefallen, wehrte ich mich erbittert, egal wie sehr ich auf Widerstand stieß. Wie ich darauf kam? Die Erwachsenen hatten argumentiert, meine Mutter sei im Himmel und würde mich sehen und deshalb sollte ich mich anständig, sprich folgsam benehmen.


2. Lebensabschnitt im Alter von 16 bis 24 Jahren


Als ich 16 wurde, hatte mein Bruder ausstudiert und war froh, dass er die Familie verlassen konnte. Die Einengungen waren weiterhin strikt, so musste ich jeden Tag alle Schuhe putzen, dafür bekam ich ein Taschengeld von 3.- DM im Monat. Davon sollte ich dann alle Schulsachen, Stifte, Bücher usw. kaufen. Aber es gab Freiräume zu erobern. Zwar lebte ich "wie in einem mürrischen Hotel", aber ich hatte in dem großen Haus sogar ein Stockwerk meistens alleine für mich. Ich gab Nachhilfestunden.

Ganz ungewohnt wurde ich vorübergehend von den Erwachsenen gelobt: Ich würde besser zuhören. Kunststück, mir war aufgefallen, dass es meistens falsch, oder unangemessen war, wenn "die Erwachsenen" etwas sagten, abwerteten, befahlen, drohten. Also zuhören, dann war die Information schon mal verfügbar. Bald hieß es: "Was machst du denn da, ich hatte dir doch gesagt, du sollst ...". Na eben.

In der Schule kam ich am besten zurecht. Sie schien mir der Schlüssel zu einer Befreiung, wie sie meinem Bruder gelungen war. Was ich an Lehrlingsstellen beobachtet hatte, wäre für mich offenbar mühsam und langweilig gewesen. Ich las nebenbei Bücher wie die 800 Seiten Bochenski: "Sozialismus", auch vieles zu Liberalismus, doch als ich 16 war wollte mich die FDP noch nicht als Mitglied aufnehmen.

Ich blühte auf. Wie konnte das sein? Als wir 17 waren, ging meine Schulklasse auf Tanzkurs bei "Peps Valenci", alle waren fiebrig aufgeregt. Ein paar Jahre früher hatte ich meinen Bruder gefragt: "Wozu braucht man eine Freundin?" Was mir an der Antwort gefiel, war Rückenkratzen und Kartenspielen. Das gilt für mich heute noch, mit ein paar Erweiterungen, als wahr. Und ich fand eine wunderbare Freundin, "Assi", wir besuchten Kammerkonzerte, machten bald Ausflüge bis nach Rivazzurra di Rimini. Ich wurde geliebt und liebte selbst, Lebenshoffnung keimte auf.

Jedoch nach sieben munteren Jahren flippte ich aus. Bei einem Besuch in Ostberlin bestaunte ich die dort in Filmen ausgebreitete "Romantik" politischer Freundschaft unter Verfolgten des Naziregimes. Für den Frieden wollte ich mit einem Einsatz kämpfen wie ein Soldat im Krieg. Dafür hatte ich schon beim 3. Semester Physik noch Politische Wissenschaften dazugenommen. Nun meinte ich, eine stark politisch engagierte Ehefrau sei unverzichtbar.

Prompt trennte ich mich von Assi. In den Tagen danach hatte ich Fieber ohne Krankheit, zerfetzte im Liebeskummer, nur mit einem Hammer bewaffnet, mein Klavier (mitsamt Holzwürmern drin) und verbrannte es, aber ich fand nicht zu ihr zurück. Das Wichtige sei wichtiger als das Schöne, sagte ich mir. Erst in Jahrzehnten fand ich heraus, Krieg und Gewalt besteht nur aus allzu verbissenen Kämpfen, und sei es auch der Kampf gegen den Krieg.


3. Lebensabschnitt im Alter von 25 bis 65 Jahren


Mit meiner schier grenzenlosen Absicht, etwas gegen Krieg und Gewalt zu tun, wurde ich fündig. Schon bevor ich mir mit 25 mein Diplom als Physiker holte, hatte ich meinen "Traumjob" in einem Projekt zur Untersuchung des Atomkrieges. Wie wurde das möglich?
Die "Göttinger 18 Atomphysiker" Deutschlands hatten aus Überzeugung erklärt: "Wir bauen keine Atomwaffen". Damit hatten sie Adenauer und Strauß verärgert, aber nicht "geläutert". Deshalb organisierten sie die Studie "Kriegsfolgen und Kriegsverhütung" mit Carl-Friedrich von Weizsäcker als Projektleiter. Ich wurde als Mitarbeiter verantwortlich für den Computerbereich, für die Simulation von Atomkriegsszenarien in Deutschland und deren Auswirkung auf Bevölkerung, Gesellschaft, Industrie, Ökologie. Ich fand eine begeisterungsfähige, engagierte Ehefrau "Simone", aber mit meiner radikalen Umsetzung der Devise: "Einsatz wie der Soldat im Krieg" brachte ich sie zur Verzweiflung und die Ehe zerbrach, unser Sohn hatte durch mich einen ähnlichen Verlust wie ich selbst als Kind. Auch für eine zweite Ehefrau, "Mechthild", war die Anspannung bei weitem zu groß und Getrenntleben wurde unausweichlich. Für welche wäre es nicht?

"Die Gesellschaft" hatte ein Einsehen und ab 1983 fand ich keinen angemessenen Job mehr im Bereich Kriegsforschung. Bis dahin hatten meine Kollegen und ich die Ergebnisse nach Bonn, nach Moskau usw. in die entscheidenden politischen Stellen eingebracht. Nun rächte sich, dass ich kaum auf meine Karriere geachtet hatte, nie eine Habilitation versucht hatte.

Doch noch einmal gelang ein politisch wirksames Engagement: Das Buch "Wege in die Informationsgesellschaft" (dtv 1985, gemeinsam mit Peter Otto) fand breite Verwendung, so für Vorlesungen, für Tagungen usw. Ein Kapitel betraf die Militärelektronik und den menschlichen Faktor bei dem Versuch einer technischen, militärischen und politischen Kontrolle drohender Eskalation. Neben den praktischen Studien hatte ich jahrzehntelang eine Fülle von psychischen Grundlagen der Gewalt studiert. Auf Grund der geschichtlich häufigen Paradigmenwechsel hatte ich besonderes Interesse an sogenannten Randgebieten der Wissenschaft. Ich hatte nach Anhaltspunkten gesucht im Völkerrecht, bei C.G. Jung, Sri Aurobindo, bei alten und auch bei neuen Religionen wie Scientology und vielfältigen religiösen Utopien im Bereich Science-Fiction, bei Antroposophie, in der Systemtheorie, bis hin zur Esoterik von Engeln und Dämonen - und ich beendete diese vielfältige Suche in den 80er Jahren, zugleich mit dem weitgehenden Verlassen des Gebietes der strikt wissenschaftlichen Untersuchung von Gewalt. Gewalt war und ist nun zu einem meiner Themen unter anderen geworden. Meine Lehrtätigkeit, vor allem an der FU-Berlin, betraf Themen von Technik und Gesellschaft.

Ein neuer Schwerpunkt wurde in den 90er Jahren meine Tätigkeit in der Industrie. Ich war als Angestellter Voll- und Teilzeit bis 2000 bei der VDI/VDE-IT GmbH, mit Studien für die EU Kommission und mit Förderung innovativer Betriebe. Als Gesellschafter kümmerte ich mich vor allem um Projekte der drei GmbH Firmen:

Rossmann Feinelectric GmbH, 1963 - 1978 in Gauting bei München, Produktion von Transformatoren und Motoren, Entwicklung von Sicherheitstechnik. Das Projekt "Cayenne" für ein kybernetisches Modell des Menschen, eine Art Vorläufer der KI, wobei Modellrechnungen 1963 in CERN/Genf getätigt wurden war geeignet, die Motivationen von Menschen, insbesondere zur Gewalt, zu erklären, aber die Versuche einer Hardware Realisierung führten nicht zu einem Produkt. Siehe im Detail IFIAT Projekt 33 auf http://www.ifiat.org/33.htm

PI Patent Interconsulting GmbH, Büro Berlin, von 2001 bis 2008: Vielfältige Aktivitäten, so die Darstellung von Produkten der Mikrosystemtechnik beim VDI/VDE-IT unter "Anbieter" bei www.mstonline.de/praxis/transfer/, so Unterstützung der Bionischen Sägen, so ein kommerzielles Angebot zu Biografien für Firmen und Personen. 2008/2009 habe ich diese Firma als Liquidator gelöscht.

FTS Fördertechnik Sonntag GmbH, Büro Berlin, seit 2001: Unterstützung des Produkts Gabelstapler bis Ende 2004. Unterstützung meines Sohnes, Grad- Ing. und GF Leo Sonntag im Management und bei der Entwicklung von Plasmaschneidegeräten in Gauting bei München (Firmensitz) und Argentinien. Seit 2007 ruhen die Aktivitäten der Firma.

Am Ende dieses Lebensabschnittes gab es eine immer stärkere Verschiebung meiner Aktivitäten in Richtung Publizistik.


4. Lebensabschnitt im Alter von 66 bis ? Jahren


Mein lebenslange belletristische und journalistische Aktivität wuchs in den 90er Jahren und wurde schließlich 2005, im Alter von 66 Jahren, zum neuen Schwerpunkt.

Bei den bisherigen Lebensabschnitten war Erfolg die Vorbedingung einer bestenfalls nervösen Zufriedenheit, denn es konnte kaum je ein eigenes Produkt den gesellschaftlichen Bedrohungen gerecht werden. Der aktuelle Lebensabschnitt wurde von jeglichem "polit-missionarischem" Eifer befreit. Natürlich ist das Bewusstsein für Probleme weiter da und lebendig, aber Maßstab ist jetzt die schriftstellerische Kunst, mit der Freude an der eigenen Arbeit und Muße. Fleiß ist nicht verboten, aber genüssliche Faulheit wird ebenso freudig begrüßt. Kontakte in privaten wie gesellschaftlichen Bereichen werden stark intensiviert und bleiben lebendig. Die Veränderung brachte die glücklichst mögliche Wendung in mein Leben, eine private "Wiedervereinigung" mit Assi, siehe auch oben im 2. Lebensabschnitt den Anfang des realen Märchens.

Als Literat behalte ich meine gewohnte inhaltliche und stilistische Vielfalt bei. Möglicherweise werde ich mit meinen "Quadromanen" versuchen, eine neue Kunstform zu erfinden und gestalten: Vier im Konzept und Stil verschiedene, miteinander verknüpfte Romane. Ein Vorläufer, eine Variante mit Einbeziehung von Internet Techniken ist die Kurzgeschichte Mal was tun, bei der die Leser Szenen aus vier Blickwinkeln erleben können und am Ende der Geschichte die Emotionen von Briefen wählen können.







Vita

Foto von Petra Schöning/Köln
Portrait von Miriam Winkler 2004